„Fallen Leaves“: Ein zeitloser Film über Einfachheit, Liebe und Arbeit

Autorinnen: Roua Hinkov, Daria Ciurea

In einer Welt, die auf Oberflächlichkeit, Sorgen und flüchtige Momenten gegründet ist, konzentriert sich der Regisseur Aki Kaurismäki mit seinem neuesten Werk „Fallen leaves“ auf die Gesichter der Menschlichkeit. Wie ein Tanz, wie ein Spiel, dreht sich dieser Film um die Grenze zwischen Poesie und sozialer Kritik. Kaurismaki verschönert die Realität der modernen Gesellschaft überhaupt nicht; er lässt sie ihre Macht über seine Charaktere ausüben. Auf diese Weise findet sich die gesamte Schönheit der Umgebung in den kleinsten Details des Alltags, die durch Bilder, Formen und Farben hervorgehoben werden.

Aki Kaurismäki ist ein finnischer Regisseur, Drehbuchautor und Produzent, der für seinen unverwechselbaren Stil bekannt ist, der von absurdem Humor, Minimalismus und sozialen Beobachtungen geprägt ist. Kaurismäki begann seine Filmkarriere in den frühen 80er Jahren und wurde durch seine Filme wie „Leningrad Cowboys Go America“ (1989), „The Match Factory Girl“ (1990), „La Havre“ (2011) und „Die andere Seite der Hoffnung“ (2017) berühmt. Sein neuer Film „Fallen Leaves“ hat schon Preise wie den „Preis der Jury“ in Cannes und„Beste Regie“ bei dem Chicago International Film Festival gewonnen und wurde auch als bester Film bei den Golden Globes nominiert.

Der Film spielt im heutigen Helsinki, ist abermit der Vergangenheit verbunden. Er rückt zwei einfache Seelen in den Vordergrund: die Supermarktangestellte Ansa (Alma Poysti), die vom Manager rausgeschmissen wird, weil sie ein abgelaufenes Sandwich mit nach Hause nehmen wollte, und Holappa (Jussi Vatanen), ein Bauarbeiter, der aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums seinen Job verliert. Beide gehören der Unterschicht an und werden zu einer Art „Sklaven der Gesellschaftsordnung“. Sie kennen ihre Grenzen und versuchen nicht, diesem System zu entkommen und bleiben so von Anfang bis Ende seine Opfer. Eine zufällige Begegnung in einer Karaoke-Bar gibt ihnen jedoch ein wenig Lebendigkeit und ihr Schicksal ändert sich. Der Film ist somit ein lebendiges Bild alltäglicher Banalität, ergänzt durch einen Hauch von Humor.

Weiterhin thematisiert dieser Film die fehlende Freiheit und Einsamkeit des Menschen. In allen von Kaurismäkis Filme gehören die Figuren zu der Arbeiterklasse. Auch sagt einer der Figuren zu Ansa: „Du hast mich beleidigt, das ist typisch für euch Menschen.“ Man kann also behaupten, dass in Kaurismäkis Welt nur die Arbeiter überhaupt human erscheinen.

Wegen der grausamen äußeren Welt können diese Figuren gar kein glückliches Privatleben haben. Sie leben in einer völligen Verzweiflung, fast resigniert und ihr ganzes Leben dreht sich um die harte Arbeit. Sie haben gar keine Zeit, um das Leben zu genießen, sodass es einen ständigen Kampf um das Überleben gibt. Ansa ist an ihre einsame Lebensweise so stark gewöhnt, dass sie Geschirr nur für eine Person besitzt: einen Teller, einen Becher, einen Löffel, eine Gabel und einMesser. Erst als Holappa zu ihr nach Hause kommt, kauft sie Geschirr auch für ihn. Diese Tat unterstreicht ihre Hoffnung auf einer Beziehung, die sie aus der deprimierten Einsamkeit retten wird. Doch nachdem er sie enttäuscht hat, wirft sie sein Geschirr weg und bleibt wieder alleine. Die beiden Arbeiter sind in einer modernen Welt verloren, die sie von ihrer Umgebung abschneidet. Deswegen findet jeder in dem anderen die Hoffnung auf Aufstieg. Mit guter Laune und kleinen Details schafft Aki Kaurismäki im Film eine Kritik der Gesellschaft, welche die Nöte der Unterschicht hervorhebt. Die Einsamkeit des Individuums wird durch die Angst und Verletzlichkeit verstärkt, die der normale Bürger empfindet, wenn er im Radio die Nachrichten über die Invasion der Ukraine hört. Diese Gefühle betreffen einen großen Teil der Bevölkerung und es gibt nur wenig Ablenkung: eine Bar und ein Kino.

Sehr wichtig ist bei Kaurismäki die Musikauswahl. Alle Lieder haben eine Bedeutung für die innere Welt der Figuren. Ansas einziger Unterhaltungsapparat ist ein Radio. Es gibt immer wieder News über den Krieg in Ukraine, aber sie will dies nicht hören, sodass sie stattdessen traurigen Balladen lauscht. Der Film endet mit einem Lied, dessen Vers das Thema der Unterdrückung unterstreicht: „Auch die Friedhöfe haben Zäune“. Das hebt die Bedingungen der Arbeitsklasse hervor, den menschlichen Zustand der Unfreiheit, die auch nach dem Tod existiert.

In dieser grausamen Welt gibt es jedoch Hoffnung auf Liebe. Die Liebe wird im Film als einer der rettenden Faktoren beschrieben. Dank dieses Gefühls wird Holappa seine Alkoolsuchtigkeit überstehen und aus dem Chaos entkommen. Außerdem verändert sich Ansas Leben komplett, als sie eine ehrliche Interaktion mit Holappa beginnt.

Die Liebesgeschichte ist einfach, fast ein Klischee: zwei Menschen lieben sich, aber wegen äußerer Bedingungen können sie nicht zusammen sein. Diese Simplizität sowohl der ganzen Geschichte als auch der Schauspielkunst und des Drehbuchs lässt den Zuschauer sich auf die visuelle Ebene konzentrieren. Das Licht und die Schatten sind sehr detailliert. Kaurismäki hat sich Mühe bei der Kolorierung des ganzen Films gegeben, sodass der Effekt überzeugend ist. Das führt zu der Zeitlosigkeit der Geschichte. Obwohl die Gegenwärtigkeit der Ereignisse im Film klar ist, gilt seine Kritik am Kapitalismus epochenübergreifend.

Außerdem werden die Zuschauer nicht von einem prätentiösen Spiel der Darsteller beeinflusst, sodass sie die Freiheit haben, sich eine objektive Meinung über die Ereignissen zu bilden. 

Man kann dieser Film in Zusammenhang mit Kaurismäkis erster Trilogie stellen, die sogenannte „Trilogie des Proletariats“ (“Shadows in Paradise”, “Ariel” und “Match Factory Girl”). Die Filme behandeln alle die Themen der Liebe in einer aggressiven, unsicheren Welt, die die Menschen voneinander oder sogar von sich selbst distanziert. In diesen Film aber gibt es ein versöhnliches Ende, was für diesen Regisseur ganz ungewöhnlich ist. In Vergleich zu „Shadows in Paradise“, dem ersten Film Kaurismäkis, gibt es in „Fallen leaves“ mehrere Facetten des Schmerzes. Ansa fühlt nicht nur die Einsamkeit und eine konstante Müdigkeit wegen der Arbeit oder der Suche nach der Arbeit, sondern auch komplexe Gefühle, die in seinen ersten Filmen gar nicht aufgetaucht sind: Enttäuschung der Selbstillusion, dass die geliebte Person sie priorisiert; Enttäuschung von sich selbst, dass man nicht die Macht über seinen eigenes Körper hat, Gefühle der Unfähigkeit, der Sucht zu widerstehen. Man kann also die Reifung des Regisseurs in seinen Werken deutlich bemerken.

Schließlich würden wir sagen, dass „Fallen Leaves“ eine bittersüße Tragikomödie ist, die Unfreiheit, Abhängigkeit, Klassenschichten, Alkoholsucht, aber auch Liebe, Hoffnung und Ermutigung thematisiert. Kaurismäki konzentriert sich in diesem Film sowohl auf die visuelle Ebene als auch auf die innere Welt der zwei Hauptfiguren, die zusammen einen Bildungsprozess beginnen. Wir empfehlen diesen Film, da die humanistische Seite durch die einfachen Ereignisse erlebbar gemacht wird, die selbst eine poetische Kunst repräsentieren.

Veröffentlicht am 16.04.2024
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