Lernen und Leben in Berlin – Mein Auslandsjahr

Von Vladimir Sandu

Hallo, ich bin Vladi, 17 Jahre alt, und besuche die 11. Klasse des Deutschen Goethe-Kollegs in Bukarest. In diesem Artikel möchte ich euch von meinem unvergesslichen Abenteuer in Berlin erzählen – einem Jahr, das mein Leben wirklich verändert hat.

Die Idee, für ein Jahr ins Ausland zu gehen, kam mir ziemlich spontan, mitten in der neunten Klasse. Ich erinnere mich noch genau, wie ich eines Abends einfach dachte: „Wie wäre es, ein Jahr in einer anderen Stadt zu leben, neue Menschen kennenzulernen und eine ganz andere Welt zu entdecken?“ Berlin tauchte dabei sofort in meinem Kopf auf. Die Stadt hatte für mich schon immer etwas Besonderes – offen, lebendig, ein bisschen chaotisch, aber voller Möglichkeiten. Also begann ich, mich über Berliner Gymnasien zu informieren, in der Hoffnung, diesen Traum wahr werden zu lassen.

Dann, an einem heißen Sommertag, nur zwei Wochen vor Schulbeginn der zehnten Klasse, bekam ich endlich die Zusage von dem Berliner Gymnasium. Ich konnte es kaum glauben: Mein Traum wurde Wirklichkeit! Doch gleichzeitig bedeutete das auch, dass ich ein großes Opfer bringen musste. Ich würde meine Familie und meine Freunde für ein ganzes Jahr zurücklassen. In diesem Moment fühlte ich eine Mischung aus purer Freude, Aufregung und einer kleinen Portion Angst – ein Gefühl, das ich kaum in Worte fassen kann.

Mir war klar: Dieses Jahr in Berlin würde nicht einfach nur ein Schuljahr werden, sondern ein echtes Abenteuer. Ich wollte nicht nur lernen, sondern auch wachsen – sprachlich, persönlich und menschlich. Ich wollte herausfinden, wie viel Mut und Entschlossenheit in mir stecken, wenn ich meine Träume wirklich verfolge.

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Die Wochen vor der Abreise waren ehrlich gesagt ziemlich stressig. Ich musste mir in kurzer Zeit eine Unterkunft finden – und das ist in Berlin fast schon ein eigenes Abenteuer. Die Stadt schläft nie, aber freie Wohnungen scheinen dort kaum zu existieren. Nach vielen E-Mails, Telefonaten und viel Geduld hatte ich schließlich Glück und fand ein kleines Zimmer in einem belebten Viertel. Es war perfekt für einen Neuanfang.

Als endlich alles organisiert war, begann meine Reise nach Berlin. Ich kannte die Stadt schon von früheren Besuchen, aber diesmal war alles anders. Es ist ein Unterschied, ob man Berlin als Tourist erlebt oder wirklich dort lebt. Plötzlich war ich mittendrin – im Großstadttrubel, in der U-Bahn, zwischen Menschen, die alle in ihrem eigenen Rhythmus leben.

Im Vergleich zu Bukarest ist Berlin wie eine andere Welt. Die Stadt kann dir alles bieten: Freiheit, Möglichkeiten, Abenteuer – aber gleichzeitig kann sie dir auch ein Stück Sicherheit nehmen, weil alles so groß und anonym ist. Auf der Straße achtet niemand auf dich, niemand schaut dich an, niemand interessiert sich dafür, was du trägst. Am Anfang war das ungewohnt, fast ein bisschen kalt. Aber mit der Zeit verstand ich: Genau das ist die Freiheit, die Berlin ausmacht. Du kannst einfach du selbst sein, ohne dass dich jemand beurteilt.

Was mich am meisten faszinierte, war die unglaubliche Vielfalt. In der Stadt hörte ich Sprachen aus aller Welt, sah Menschen mit unterschiedlichsten Geschichten, Kulturen und Glaubensrichtungen. In Berlin hat wirklich jeder seinen Platz – egal, woher man kommt.

Und so begann mein neues Leben in dieser riesigen, bunten, manchmal lauten, aber immer spannenden Stadt.

Unter der Woche hatte ich schnell meine feste Routine gefunden. Jeden Morgen fuhr ich mit der U-Bahn zur Schule, meistens mit Kopfhörern in den Ohren. Nach dem Unterricht blieb ich oft noch ein bisschen im kleinen Café neben meiner Wohnung, um Hausaufgaben zu machen oder einfach den Nachmittag zu genießen. An manchen Tagen ging ich mit Freunden durch die Stadt spazieren, und wenn ich Ruhe brauchte, ging ich ins Fitnessstudio, um den Kopf freizubekommen.

Am Wochenende nutzte ich jede Gelegenheit, neue Ecken Berlins zu entdecken. Die Stadt ist riesig, und egal, wie viel man schon gesehen hat, es gibt immer etwas Neues zu erleben. Anfangs fühlte ich mich manchmal etwas verloren, weil alles so groß und unbekannt war. Aber genau das machte Berlin für mich auch so faszinierend – hier lebt jeder auf seine eigene Weise.

Mit der Zeit begann ich, diese Freiheit richtig zu genießen, auch wenn sie am Anfang ungewohnt war. Besonders beeindruckt hat mich, wie lebendig die Stadt ist. Überall gibt es Musik, Kunst und Veranstaltungen – von großen Straßenfesten bis hin zu kleinen Konzerten in versteckten Hinterhöfen. Ich erinnere mich an warme Sommerabende an der Spree, an Treffen mit Freunden an der Eberswalder Straße, ans Volleyballspielen im Park am Gleisdreieck oder ans Picknicken und Bräunen im Volkspark. Überall trifft man Menschen aus den verschiedensten Ländern, die einfach das Leben genießen. Diese Momente haben mir gezeigt, warum Berlin so besonders ist – bunt, frei und immer voller Energie.

Am Montag, den 16. September 2024, begann dann mein erster richtiger Schultag in Berlin. Zusammen mit meinen beiden Klassenlehrerinnen musste ich meine Fächer für das kommende Jahr wählen. Ich entschied mich für Mathematik und Politikwissenschaften als Schwerpunkte. Dank meiner Vorkenntnisse fiel mir der Mathematikunterricht der 10. Klasse recht leicht, was mir am Anfang viel Sicherheit gab. Im Gegensatz dazu fand ich den PW-Unterricht ziemlich schwierig, weil ich sehr viele Fachbegriffe lernen musste.

Die Schule selbst war beeindruckend. Sie sah fast wie ein altes Schloss aus – mit großen Fluren, hohen Decken und Fenstern, durch die das Licht morgens wunderschön fiel. Mein Stundenplan war ziemlich voll: Zwischen sieben und neun Stunden Unterricht pro Tag waren keine Seltenheit. Am meisten regte mich allerdings das Handyverbot auf. Dazwischen gab es sogenannte „FAZ“-Stunden, in denen wir selbstständig lernen oder Aufgaben bearbeiten konnten.

Was mir besonders gefiel, war die Art des Unterrichts. Es ging nicht nur darum, Fakten auswendig zu lernen, sondern wirklich mitzudenken. Wir haben viel diskutiert, debattiert und über aktuelle Themen gesprochen. Jeder musste seine Meinung äußern, sie begründen und mit anderen austauschen. Das war anfangs ungewohnt, aber unglaublich spannend – und ich merkte schnell, wie viel ich dabei lernte, auch über mich selbst.

Neben Schule und Alltag war das Alleinewohnen für mich eine völlig neue Erfahrung. Plötzlich musste ich für alles selbst Verantwortung übernehmen – vom Kochen über den Einkauf bis hin zum Wäschewaschen. Am Anfang war ich neugierig, wie das sein würde, all diese Dinge ohne Hilfe zu erledigen. Doch ich habe sie nie als Last empfunden, sondern als Teil des Abenteuers.

Ich war richtig stolz darauf, meinen Alltag allein zu organisieren. Es fühlte sich gut an, selbstständig zu sein, Entscheidungen zu treffen und für mich selbst zu sorgen. Ich habe in dieser Zeit unglaublich viel über mich gelernt – über Geduld, Organisation, aber auch darüber, wie schön es ist, sich auf sich selbst verlassen zu können.

Ein Moment, in dem ich mich wirklich wie ein Teil von Berlin fühlte, war, als ich mir auf einem Fahrradmarkt für knapp 300 Euro ein altes Vintage-Rennrad gekauft habe. Es war mehr als nur ein Fortbewegungsmittel – es war ein Stück Freiheit und Unabhängigkeit. Mit diesem Rad fuhr ich durch die Stadt, erkundete neue Viertel und hatte zum ersten Mal das Gefühl, wirklich dort zu leben.

Während meines Aufenthalts arbeitete ich auch freiwillig beim Rumänischen Kulturinstitut und bei der orthodoxen rumänischen Kirche in Berlin. Diese Erfahrungen haben mir gezeigt, wie viel man lernen kann, wenn man sich engagiert.

Mein Auslandsjahr in Berlin war eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Ich habe nicht nur die Stadt und ihre Menschen kennengelernt, sondern auch mich selbst besser verstanden. Ich habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen, selbstständig zu leben und in einer völlig neuen Umgebung zurechtzukommen.

Ein großer Gewinn war natürlich auch mein Deutsch. Ich merke heute, wie viel sicherer ich spreche und schreibe. Noch wichtiger war aber das, was ich auf indirektem Wege gelernt habe – Mut, Offenheit und die Bereitschaft, Neues auszuprobieren.

Dieses Jahr hat mir gezeigt, dass man manchmal einfach den Schritt ins Unbekannte wagen muss, um zu wachsen. Ich bin unglaublich dankbar für alles, was ich erlebt habe, und werde diese Zeit in Berlin immer als eines der schönsten und lehrreichsten Kapitel meines Lebens in Erinnerung behalten.

 

01.11.2025

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