Zwischen den Wahlen Rumäniens Was nun?

Autorinnen: Maria Mihai & Maia Pripiș

Hätte uns jemand vor etwas mehr als einem Monat die aktuelle politische Situation in Rumänien erklärt, hätten wir ihm ehrlich gesagt nicht geglaubt. Enttäuschung, Verwirrung, aber auch Motivation und Fokussierung sind nur einige der ersten Reaktionen, die wir nach diesen Ereignissen wahrgenommen haben. Alle diese Empfindungen sind verständlich und vor allem berechtigt, aber man muss sich auch Zeit nehmen, die Wahlergebnisse zu analysieren, um mögliche Zukunftsperspektiven zu erkennen.

In diesem Sinne ist die politische Lage Rumäniens nach wie vor angespannt. Der größte Teil der Bevölkerung hat keine Einsicht in die genauen Ereignisse und nimmt seinen normalen Alltag wieder auf. Trotzdem wollen wir einige Fragen stellen und einzelne mögliche Sichtweisen vorstellen. Wir hoffen, damit einer engagierten und politisch interessierten Gesellschaft Denkanstöße zu liefern, ohne konkrete Lösungen vorschreiben zu wollen.

In diesem Rahmen werden wir mit den Präsidialwahlen beginnen. Diese sind in zwei Phasen unterteilt, von denen die erste Phase die Auswahl der zwei Kandidaten, die in die zweite Phase einziehen, vornimmt. Die Ergebnisse der mittlerweile annullierten ersten Wahlrunde stellen sich folgendermaßen dar:

1.CĂLIN GEORGESCU (INDEPENDENT) – 22,94 %

2.ELENA-VALERICA LASCONI (USR) – 19,17 %

3.ION-MARCEL CIOLACU (PSD) – 19,14 %

4.GEORGE-NICOLAE SIMION (AUR) – 13,86 %

5.NICOLAE-IONEL CIUCĂ (PNL) – 8,78 %

6.MIRCEA-DAN GEOANĂ (INDEPENDENT) – 6,31 %

Viele Beobachter staunten über die Entwicklung, die Călin Georgescu durchlief und die dazu führte, dass er zu einer einflussreichen Persönlichkeit in der rumänischen Politik wurde. In diesem Kontext bekam Georgescu ein eher rätselhaftes Ansehen, da kaum jemand viel von seinen Überzeugungen wusste. Als ehemaliges Mitglied der AUR-Partei führt Georgescu eine Art mystisch-religiösen Diskurs in die politische Szene Rumäniens ein und präsentiert sich als ein patriotisches Vorbild. In diesem Zusammenhang äußert er sich positiv über historische Persönlichkeiten mit zweifelhaftem Ruf, wie Corneliu Zelea Codreanu, der von 1927 bis 1938 Führer der faschistischen Bewegung „Legion Erzengel Michael“ war, was auch für Georgescu eine gewisse Nähe zu faschistischen, anti-europäischen Einstellungen andeutet. Nach den Wahlen postulierte Georgescu, das Volk habe nun einheitlich Vernunft bewiesen.

Die Tatsache, dass Călin Georgescu und Elena Lasconi in den ursprünglich geplanten zweiten Wahlgang eingezogen wären, lässt den Schluss zu, dass es sich bei diesen Wahlen um einen Wendepunkt handelt. Dies ist das erste Mal, dass keine der beiden „großen“ Parteien, PSD und PNL, einen Kandidaten im zweiten Wahlgang stellt. Dies kann als ein Hinweis darauf interpretiert werden, dass die beiden Parteien signifikant an Zustimmung in der Bevölkerung verloren haben. Dieser Verlust an Legitimation und Vertrauen kann wiederum eine Kettenreaktion verursachen, die mit der Wiedergeburt faschistischer Ideologien und systemkritischer Parteien beginnt, eine Veränderung, welche gegenwärtig schon zu beobachten ist.

Darüber hinaus verursachte der erste Wahlgang ein allgemeines politisches Chaos. In allen größeren Städten wie Bukarest, Brasov, Cluj, Timisoara und anderen kam es in der Folge zu Massendemonstrationen, die von Jugendlichen dominiert wurden und vor dem Faschismus wehren sollten. Nicolae Ciuca, Vertreter der PNL-Partei, trat zurück. Marcel Ciolacu, Vertreter der PSD-Partei, trat ebenfalls kurzfristig zurück. Die CCR („Curtea Constituțională a României” oder das rumänische Verfassungsgericht) beschloss daher, dass die Wahlen neu ausgezählt werden müssen, was die Möglichkeit eröffnet, dass Marcel Ciolacu auf den zweiten Platz kommt. Diese Entscheidung wird jedoch von Kritikern als undemokratisch interpretiert, da Beobachter nicht zugelassen wurden.

Illustrationen: Daria Ciurea

Inzwischen liegen detailliertere Informationen darüber vor, auf welche Weise es Călin Georgescu gelang, eine derartige Anzahl an Stimmen auf sich zu vereinen. Eine mögliche Erklärung für diesen Umstand liegt in seiner hohen Aktivität in den sozialen Medien wie TikTok und Facebook, wo er darauf abzielte, die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit zu erregen. So verzeichnete er einen signifikanten Anstieg seiner Followeranzahl, wobei er eine beachtliche Anzahl an Views generierte. In seinen Online-Aktivitäten kommunizierte er wiederholt seine Vision einer souveränen rumänischen Macht, verbreitete eine bedeutende Menge an pro-russischer Propaganda und löste damit kontroverse Behauptungen, insbesondere im Kontext der EU und der Menschenrechte aus. Nach einer weiteren Untersuchung durch die Europäische Kommission wurde festgestellt, dass durch Călin Georgescu eine sichtbare politische Instabilität entstanden sei, wobei die große Anzahl von Views verdächtig erscheine. Es stellt sich heraus, dass TikTok ihn in wohl unzulässiger Weise bevorzugt habe. Man kann daher von vielfachen Cyberaktivitäten sprechen, die darauf abzielten, die Wahlen in seinem Sinne zu beeinflussen.

Schließlich kam es zum Eklat: Klaus Iohannis (der jetzige Präsident) machte private Dokumente über den Wahlkampf von Călin Georgescu öffentlich, die dessen korrupte Manipulationstaktiken zeigten. Nach mehreren Sitzungen und Diskussionen beschloss der CCR, die Wahlen abzusagen und auf das Frühjahr zu verschieben. Călin Georgescu steht nun unter Anklage.

Was jetzt? - Chancen und Risikos

Klaus Iohannis bleibt weiterhin Präsident, bis die Wahlen neu angesetzt werden, und wird mit denselben Verantwortungen versehen (siehe vorheriger Artikel zum Thema). Das allgemeine Ziel der pro-europäischen Kräfte besteht in der Bewahrung der Demokratie in Rumänien.

Die Verschiebung der Wahlen stellt jedoch keine Lösung für das zugrunde liegende Problem dar, nämlich die Tendenz des Landes, sich dem Extremismus zuzuwenden. Auch wenn Călin Georgescu nicht kandidiert, bedeutet dies nicht, dass nicht eine andere Person mit derselben Vision dieselben Mittel benutzen könnte, um an Macht zu gelangen.

Es ist daher von entscheidender Bedeutung, mittel- und langfristig insbesondere im Bildungsbereich dafür zu sorgen, dass die Werte Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vermittelt werden; dass die Menschen in die Lage versetzt werden, Propaganda und Populismus zu erkennen und sich davor schützen zu können. Darüber

hinaus ist es erforderlich, dass die sozialen Probleme im Land durch die politische Mitte so gelöst werden, dass die Bevölkerung keinen Grund hat, Lösungen bei den politisch extremen Rändern zu suchen. In diesem Sinne kann man auch darüber debattieren, wie die Verfassung durch gesetzliche Regelungen krisenfester gemacht werden kann.

Die Folgen dieser Entwicklung sind vielfältig, jedoch lässt sich festhalten, dass die Rumänen Vertrauen in die Transparenz des Wahlprozesses und in die Politik allgemein verlieren, wobei gegenwärtig Extremisten davon profitieren. Diese Entwicklung birgt die Gefahr, dass sich ungünstige Szenarien für die Zukunft Rumäniens ergeben, wie zum Beispiel einen potenziellen Austritt aus der EU oder aus der NATO.

Des Weiteren sollen die parlamentarischen Wahlen untersucht werden. Wie bereits im letzten Artikel zu den Wahlen erläutert, besteht das rumänische Parlament aus zwei Kammern, dem Senat und der Abgeordnetenkammer. Alle Bürger:innen über 18 Jahren konnten Anfang Dezember ihre Stimme abgeben. Dabei konnten sowohl Parteilisten als auch unabhängige Kandidat:innen für beide Kammern gewählt werden. Tatsächlich sind die Unterschiede in den Wahlergebnissen zwischen dem Senat (erste Angabe in der folgenden Übersicht) und der Abgeordnetenkammer (zweite Angabe) gering:

1. 22.30% / 21.96% – PSD (“Partidul Social Democrat”)

2. 18.30% / 18.01% – AUR (“Alianța pentru Unirea Românilor”)

3. 14.28% / 13.20% – PNL (“Partidul Național Liberal”)

4. 12.26% / 12.40% – USR (“Uniunea Salvați România”)

5. 7.76% / 7.36% – S.O.S. România

6. 6.37% / 6.46% – POT (“Partidul Oamenilor Tineri”)

7. 6.38% / 6.33% – UDMR (“Uniunea Democrată Maghiară din România”)

 

Bei den diesjährigen Wahlen zogen sieben Parteien ins Parlament ein, darunter zwei neue, die erstmals die 5%-Hürde überspringen konnten. Das Ergebnis ist ein zersplittertes Parlament mit mehreren möglichen Koalitionen. Am 23. Dezember unterzeichneten PSD, PNL, UDMR und die Gruppe der nationalen Minderheiten die Vereinbarung über die Arbeitsweise der Koalition, nachdem sie einen Konsens über die künftige Exekutive und die Zusammensetzung des Regierungskabinetts erzielt hatten. Präsident Klaus Iohannis, der bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Amt bleiben wird, hat den ehemaligen Regierungschef Marcel Ciolacu zum Premierminister Rumäniens ernannt. Die politische Vereinbarung gilt bis hoffentlich 2028 und sieht unter anderem vor, dass kein Abgeordneter der Koalition einen einfachen Antrag gegen ein Mitglied der Regierung oder einen Misstrauensantrag gegen die Regierung unterstützen oder dafür stimmen wird. Die Beschlüsse der Koalition sind für alle Personen verbindlich, die von der Koalition in öffentlichen Ämtern unterstützt werden. In diesem Sinne kann ein Verstoß dagegen zu einer einseitigen Auflösung der politischen Vereinbarung führen.

Um uns ein noch klareres Bild über das Parlament zu verschaffen, können wir einen Blick auf die prozentuale Verteilung der Mitglieder des Parlaments werfen. Von den insgesamt 465 Sitzen wurden 78,28 % von Männern und 21,72 % von Frauen gewonnen, verglichen mit dem Bevölkerungsanteil der Frauen von 51,5 %. Im Vergleich zur letzten Legislaturperiode, in der nur 15,4 % der Mandate von Frauen gehalten wurden, ist eine Entwicklung zu verzeichnen.

Es ist anzumerken, dass es die Parteien sind, die die Listen für das Parlament nach internen

 

Kriterien aufstellen. Die liberale Partei PNL erschien zum Beispiel nicht auf dem ausländischen Wahlzettel für die Abgeordnetenkammer. Die Entscheidung des Wahlbüros, die Bewerbung der PNL für Kandidaten aus der Diaspora abzulehnen, wurde mit einem Verstoß gegen die Gleichstellungsvorschriften begründet. Die Kandidatenlisten entsprachen nicht den Bestimmungen des Gesetzes 202/2002 über die Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Frauen und Männern und die Wahlgesetzgebung, da die Liberalen keine Frauen auf ihrer Liste hatten. Das Berufungsgericht in Bukarest hat im Oktober die Klage des Wahlbüros gegen die Kandidatenliste der PNL für die Abgeordnetenkammer mit der Begründung, dass sie die Anforderung der Frauenbeteiligung nicht erfüllt, zugelassen.

Vor diesem Hintergrund bietet das neu gewählte Parlament sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Für die Bürgerinnen bleibt es essentiell, politisch wachsam zu bleiben und aktiv an der Gestaltung der Demokratie mitzuwirken. Dazu gehört, gewählte Vertreter:innen kritisch zu hinterfragen, ihre Arbeit zu verfolgen und sich in zivilgesellschaftlichen Initiativen zu engagieren. Das neue Parlament birgt die Chance, eine Brücke zwischen den vielfältigen gesellschaftlichen Gruppen zu schlagen und gemeinsam eine konstruktive Zukunft zu gestalten – doch das gelingt nur, wenn alle Akteure, inklusive der Bürgerinnen, ihre Verantwortung wahrnehmen.

 

Wenn man sich die Frage stellt, welche Schlüsse man aus diesen Ereignissen ziehen kann, lässt sich ableiten, dass in Politik und Gesellschaft eine effektivere Bekämpfung der Beeinflussung durch Falschinformation unerlässlich ist und die Auswirkung der politischen Maßnahmen auf das Leben der Individuen stets berücksichtigt werden muss. Die Kenntnis der eigenen Geschichte ist des Weiteren essenziell, um zu vermeiden, dass diese als Instrument der Beeinflussung missbraucht wird. Ferner darf nicht vergessen werden, dass ohne die Existenz von Demokratie und EU die positive Entwicklung Rumäniens in den letzten Jahrzehnten unmöglich gewesen wäre. Souveränität ist nicht mit einem Kampf gegen andere Länder gleichzusetzen, sondern mit Zusammenarbeit und Diplomatie. Dies gilt als ein Appell an politisches Engagement und an die allgemeine Bildung, da eine unwissende Gesellschaft anfälliger ist, sich wehrlos in die Richtung des Extremismus zu bewegen.

13.1.25

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